Unser Standpunkt
Der Algorithmus als verlängerter Arm des Managements
Die Folgen für Beschäftigte und die Rechte der Betriebsräte
Die Folgen für Beschäftigte und die Rechte der Betriebsräte
Die Roboter kommen nicht. Zumindest vorerst nicht. Auch wenn noch so viele Studien vorrechnen, wie viele Arbeitsplätze wegen Automatisierung wegfallen werden. Stattdessen setzt sich ein anderer Trend durch: Algorithmen geben Anweisungen, kontrollieren Arbeit und sanktionieren Verstöße. Nicht nur bei Lieferdiensten und dem Online-Versandhandel. Ein Kommentar von Technologieberaterin Isabelle Puccini.
»Aufträge erhalten die Fahrer*innen von Lieferdiensten von einer App. Überwacht und kontrolliert werden sie ebenfalls über die App. Ihre Vorgesetzten kennen sie nicht; das untere und mittlere Management wird durch algorithmische Steuerung ersetzt.
Ähnliches ist aus Verteilzentren bei Onlineversandhändlern bekannt. Eine Beschäftigte beschrieb, dass auf dem Display ihres Handscanners nach jeder Tätigkeit eine neue Anweisung erteilt werde und gleichzeitig die verbleibenden Sekunden heruntergezählt würden, die für den nächsten Handgriff vorgesehen seien.
Algorithmische Steuerung zeichnet sich dadurch aus, dass digitale Systeme dem Menschen Tätigkeiten zuweisen, automatisierte Vorgaben machen oder nächste Arbeitsschritte empfehlen. Aber auch automatisiert verwarnen, Weiterbildungsmaßnahmen empfehlen oder Entgelte und Beförderungen vorschlagen.
Wo immer im Hintergrund Daten erhoben, gespeichert und ausgewertet werden und Menschen im Arbeitsprozess auf Smartphone, Handscanner oder Computer angewiesen sind, ist algorithmische Steuerung möglich. Ob in Dienstleistungsbereichen (KI-gestützte Emotionsanalyse von Gesprächen im Callcenter), in der Logistik (automatisierte Planung und Änderung von Routen) oder der Industrie (Steuerung von Tätigkeiten durch Fertigungsmanagementsysteme).
Leistungsvermessung und Kontrolle
Zum Beispiel ein Internetversandhändler: Im Bürobereich wurde für rund 5.000 Beschäftigte eine Bewertungssoftware eingesetzt. Durch die gegenseitige Bewertung der Kolleg*innen entstehen Rankings von sogenannten Low, Good und Top Performern, die relevant sind für Aufstiege und Gehaltserhöhungen. Einen Betriebsrat gab es dort nicht.
Forscher*innen bezeichnen die Software als ein ‚besonders umfassendes System des algorithmischen Managements‘. Es sei ein Instrument zur Erzeugung und Legitimierung betrieblicher Ungleichheit sowie zur Leistungsvermessung und Kontrolle von Arbeit.
Algorithmische Steuerung findet sich ebenso in Bereichen gut qualifizierter und gut bezahlter Arbeit. Personalmanagementsysteme arbeiten mit Algorithmen, die jeden Vorgang registrieren, analysieren und speichern. So auch soziale Beziehungsgeflechte der Belegschaft, Dauer der wöchentlichen Meetings und die Zahl der gesendeten E-Mails. Sogenannte Produktivitätsprotokolle geben beispielsweise wieder, dass jemand 90 E-Mails in einer Woche geschrieben hat, in der Woche zuvor aber 150. Damit ist indirekt die Frage verbunden: Warum war die Zahl diese Woche niedriger?
Profitabler fürs Unternehmen
Von indirekter Steuerung versprechen sich Unternehmen Kostensenkungen (etwa durch niedrigere Löhne) und – je nach Einsatzfeld – die Steigerung von Produktivität oder Profitabilität. Das soll gelingen, indem sogenannte tote Zeit, in der aus Sicht des Unternehmens nicht produktiv gearbeitet wird, eliminiert wird. Oder indem Tätigkeiten von Facharbeiter*innen in kleine Schritte zerlegt, vereinfacht und mit digitalen Assistenzsystemen ausgestattet werden (teilweise unterstützt mit Bildern), um sie von Ungelernten ausführen zu lassen, die geringer bezahlt werden. Und indem menschliche Arbeitskraft eingesetzt wird, die billig zu haben ist. Es ist bekannt, dass bei Lieferdiensten etwa drei Viertel der Belegschaft migrantisierte Beschäftigte sind, bei denen nicht selten der Aufenthaltsstatus an die Erwerbstätigkeit gekoppelt ist. Ihre Abhängigkeit von dieser Arbeit ist entsprechend groß.
Das Perfide dabei: Unternehmen geben vor, durch die digitale Steuerung die Beschäftigten zu unterstützen, ihre Arbeit effizienter zu erledigen, sie zu entlasten und ihre Gesundheit zu schützen. Wie bei einem Paketdienst, der im Verteilzentrum eine KI-gestützte Technologie einsetzt, mit der nach eigenen Angaben der Prozess der Bestandserfassung oder Paketzählung automatisiert und die Geschwindigkeit erhöht wird. Den Beschäftigten, die tatsächlich durchgehend überwacht sind, wird erklärt, dass die Technologie dazu diene, zu schweres Heben und ungünstige Haltungen zu minimieren.
Folgen für die Beschäftigten
Beschäftigte, die digital gesteuert werden, berichten über einen Verlust ihrer Handlungsspielräume. Sie können die Reihenfolge der Arbeitsschritte nicht mehr selbst entscheiden, ihre Routen nicht mehr selbst suchen, ihre Arbeit nicht mehr selbst einteilen. Selbst Mikropausen zwischen zwei Tätigkeiten verschwinden durch die ständige Optimierung und Überwachung. Auch dadurch verdichtet sich Arbeit.
Persönlichkeitsrechte werden dann verletzt, wenn personenbezogene Daten, deren Erhebung für die Tätigkeit nicht zwingend notwendig ist, gesammelt und ausgewertet werden. Wie beispielsweise bei einem Lieferdienst, der alle 15 bis 20 Sekunden Standortdaten speichert. Das Unternehmen weiß zu jedem Zeitpunkt, wo sich jede*r einzelne Fahrer*in befindet. Und sammelt gleichzeitig Daten, mit denen Fahrverhalten und körperliche Fitness ausgewertet werden können. Die permanente Überwachung führt bei den Beschäftigten zu Stress. Sie berichten über ein Gefühl der Entfremdung und Konditionierung. Er fühle sich bei der Arbeit wie der verlängerte Arm des Managements, beschrieb es ein Arbeiter.
Was Betriebsräte tun können
Betriebsräte haben durchaus Hebel, um die algorithmische Steuerung zu regulieren. Grundsätzlich sollte die Belegschaft darüber informiert sein, wenn sie algorithmischer Steuerung unterliegt. Betriebsräte haben nach § 80 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz das Recht, vom Arbeitgeber rechtzeitig und umfassend über alle Planungen, Sachverhalte und Themen, die Bezug zu den rechtlich verankerten Aufgaben des Betriebsrats haben, unterrichtet zu werden. Zum Beispiel darüber, welche Beschäftigtendaten erhoben und gespeichert und zu welchem Zweck sie verwendet werden. Sonst kann es zu unrechtmäßiger Verarbeitung personenbezogener Daten der Beschäftigten kommen.
Eignet sich ein algorithmisches System zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle der Beschäftigten, hat der Betriebsrat Mitbestimmungsrecht (§ 87 Abs. 1 Nr. 6). Betriebsräte können nach dem Betriebsverfassungsgesetz auch Gefährdungsbeurteilungen und nach der Datenschutzgrundverordnung Datenschutz-Folgenabschätzungen verlangen. Auch § 87 Abs. 1 Nr. 1 ist hilfreich: Bei Maßnahmen, die Betriebsordnung und Beschäftigtenverhalten vorgeben oder festlegen (beispielsweise verpflichtendes Befolgen von Anweisungen eines Handscanners), kann der Betriebsrat sein Initiativrecht nutzen und selbst aktiv werden. Wie immer gilt: Betriebsräte können externe Sachverständige hinzuziehen, sobald KI-Systeme eingeführt oder angewendet werden (§ 80 Abs. 3 S. 2 BetrVG).«