Wenn der persönliche Schreibtisch verschwindet.
Ein Fall aus der BTQ-Werkstatt.
Desksharing ist mehr als nur ein neues Raumkonzept
Desksharing ist mehr als nur ein neues Raumkonzept
Anruf eines Betriebsrats: »Der Arbeitgeber hat für die Führungskräfte bereits Desksharing eingeführt. Außerdem plant er, Gebäude zu verkaufen. Weil viele Beschäftigte häufig im Homeoffice arbeiten, reduziert das Unternehmen vielleicht bald die Zahl der Arbeitsplätze vor Ort? Und schafft die persönlichen Schreibtische ab? Wir möchten uns als Betriebsrat rechtzeitig einschalten.« Technologieberaterin Carola Köppel nimmt Kontakt auf.
»Von manchen US-amerikanischen Tech-Konzernen hören wir, dass sie ihre Angestellten zurück ins Büro beordern. Zumindest an zwei bis drei Tagen verlangen sie Anwesenheit von den Beschäftigten. Andere Unternehmen versuchen, mittels Desksharing eine attraktive Arbeitsumgebung zu schaffen, sodass die Beschäftigten im besten Fall gern ins Büro kommen. Ziel ist in der Regel, die Zusammenarbeit zu stärken und die Produktivität zu steigern.
In diesem Fall* hatte der Arbeitgeber keinen fertig ausgearbeiteten Plan. Wir haben uns deshalb in Abstimmung mit dem Betriebsrat dazu entschieden, zu dem Workshop auch Arbeitgebervertreter*innen einzuladen. Zunächst ging es darum herauszufinden, welche Ideen oder Befürchtungen zu Desksharing bestehen. Die einen hatten Bedenken wegen der Hygiene, wenn Mäuse und Tastaturen von verschiedenen Menschen benutzt werden. Andere fürchteten, dass neue Großraumbüros mit viel Lärm und wenig Rückzugsmöglichkeiten zum konzentrierten Arbeiten entstehen. Manche konnten sich schlecht vorstellen, dass mit dem Desksharing keine persönlichen Dinge mehr auf dem Schreibtisch sein dürfen, keine Fotos und Pflanzen, keine Glücksbringer oder Urlaubsmitbringsel.
In einer Arbeitswelt, in der sich Arbeitsprozesse, Arbeitsmittel und Arbeitsorganisation ständig verändern, in der mal einzeln und mal in wechselnden Teams gearbeitet wird, stellt der persönliche Arbeitsplatz oft die einzige Kontinuität dar; der emotionale Bezug dazu ist entsprechend groß. Die Bedeutung des persönlichen Arbeitsplatzes sollte nicht unterschätzt werden.
Gemütliche Sitzecken für die Pause
Als Ausgleich für den Verlust des persönlichen Schreibtisches könnte der Arbeitgeber den Beschäftigten ein Angebot machen. Die finanziellen Mittel, die er durch Desksharing einspart, sollten der Belegschaft zugutekommen. Das können je nach Unternehmen unterschiedliche Maßnahmen sein, etwa ein Gemeinschaftsbereich mit kostenlosem Kaffee, Tee und Obst, Räume mit gemütlichen Sitzecken für Pausen und mehr Möglichkeiten für flexible und mobile Arbeit, um Beruf, Familie und Freizeit besser zu vereinbaren.
In großen Unternehmen werden möglicherweise sogenannte Nachbarschaften oder Homebases eingerichtet, in denen die Beschäftigten getrennt nach Teams oder Abteilungen zugeordnet sind. Dort könnten unterschiedliche identitätsstiftende Gestaltungen mit Farbkonzepten, Bildern an der Wand oder Begrünungen umgesetzt werden.
Angepasst an die Arbeitsweisen des Teams könnten unterschiedliche Ausstattungen der Räume etwa mit digitalen Flipcharts, Konferenzsystemen, Metaplanwänden und Moderationsmaterial die Zusammenarbeit erleichtern. Möglich sind auch digitale Bilderrahmen, gekoppelt mit dem Buchungssystem: Sobald jemand den gebuchten Arbeitsplatz bezieht, sind die zuvor hochgeladenen, persönlichen Fotos sichtbar. Selbstverständlich sollte die Anschaffung von ergonomischem Mobiliar sein, zum Beispiel höhenverstellbare Schreibtische und Stühle sowie verstellbare Monitore.
Telefonboxen und Kreativräume
Arbeitgeber tun gut daran, die Belegschaft schon bei der Planung einzubeziehen und sie nach ihren Wünschen und Ideen zu fragen. Vermutlich sind die Bedarfe von Abteilung zu Abteilung oder von Team zu Team unterschiedlich. Die Beschäftigten wissen am besten, wie der Arbeitsplatz und die Arbeitsumgebung gestaltet sein muss, um gut und produktiv arbeiten zu können. Das könnten Räume zum ungestörten Arbeiten sein, Telefonboxen für Videokonferenzen, gemeinschaftliche Zonen für Teamsitzungen oder Kreativräume für gemeinsame Konzeptarbeit. Wie kann gewährleistet sein, dass Teams, die häufig zusammen arbeiten, nicht auf verschiedene Gebäude oder Stockwerke verteilt werden? Soll es ein Buchungssystem geben? Und wenn ja, ist erkennbar, welche Kolleg*innen sich am Schreibtisch nebenan eingebucht haben?
Es ist denkbar, Ideen auf einer Betriebsversammlung zu sammeln, Beschäftigte online zu befragen oder abteilungsweise Workshops durchzuführen. Gestartet werden sollte mit einer Pilot-Abteilung, eventuell auch mit Probephase. Die Erfahrungen sollten ausgewertet und weitere Maßnahmen entsprechend angepasst werden.
Neuen Stress vermeiden
Der Arbeitgeber sollte Risiken abschätzen: Möglicherweise müssen einzelne Abteilungen aus dem Desksharingkonzept herausgenommen werden, etwa die Personalabteilung. Geklärt werden muss auch, wie der Datenschutz eingehalten werden kann, wenn beispielsweise verschiedene Beschäftigte auf einen allgemein zugänglichen Drucker zugreifen.
Weil Desksharing nicht bedeutet, lediglich Räume umzugestalten, sondern sich die Zusammenarbeit verändert, braucht es neue Aushandlungsprozesse. Die können von Team zu Team variieren. Wichtige Punkte könnten sein: Soll es Kernarbeitszeiten geben, in denen alle erreichbar sind. Wie werden neue Beschäftigte eingearbeitet, wenn das Team nie komplett präsent ist. Wird es verpflichtende Präsenzzeiten fürs Team geben. Welche Tools werden zur internen Kommunikation genutzt.
Als ein Nachteil des Desksharing (und des Homeoffice) sehe ich gesundheitliche Belastungen durch den fehlenden sozialen Austausch. Der ist aber wichtig, um Stress zu reduzieren. Stress könnte auch entstehen, wenn Beschäftigte morgens nicht wissen, an welchem Platz und neben wem sie sitzen werden. Kostet es jedes Mal wertvolle Zeit, sich einen Platz zu suchen?
Eine sich ständig verändernde Arbeitsumgebung kann als belastend empfunden werden und zu Konflikten führen. Und was passiert, wenn jemand tatsächlich keinen freien Platz findet. Dann ist der Arbeitgeber in Annahmeverzug. Sprich: Beschäftigte bieten ihre Arbeitsleistung an, die der Arbeitgeber aufgrund eines fehlenden Arbeitsplatzes nicht annimmt. In dem Fall muss das Entgelt weiterhin gezahlt werden. Ein betriebliches Konfliktmanagement könnte dort eingeschaltet werden, wenn es zu Problemen kommt.
Mein Fazit: Im Desksharing-Konzept steckt mehr als eine neue Raumorganisation. Es sollte nicht unterschätzt werden, was der Verlust des persönlichen Schreibtisches bedeutet. Oder der Stress, der damit ausgelöst wird, sich immer aufs Neue einen Platz zu suchen. Beschäftigte sollten bereits bei der Planung einbezogen werden. Denn es gilt: Je besser das Desksharing umgesetzt wird, desto höher die Akzeptanz bei den Beschäftigten und desto geringer die Flucht ins Homeoffice.«
* Der Fall wurde anonymisiert.
Lese-Tipp
»Gesundheitsförderliche Büroräume und Workplace Change Management – ein Leitfaden« (2019). Handlungsempfehlungen für Unternehmen in der Schweiz, um bei der Planung, Implementierung und Bewirtschaftung von Büroräumen die psychische Gesundheit der Mitarbeitenden zu fördern. Zum Herunterladen.