Warum uns KI nicht befreit – Heilsversprechen der Tech-Industrie
Unser Standpunkt
Unser Standpunkt
Die Tech-Industrie preist KI wie einen Heilsbringer an: Künstliche Intelligenz erlöst uns von monotoner Arbeit, macht uns produktiver und schafft Freiraum für kreatives Denken. Kurzum: KI macht das Leben leichter. Klingt gut, aber stimmt das auch, fragt BTQ-Geschäftsführer und Technologieberater Arthur Groth.

»Die Versprechen sind gewaltig: ›KI entfesselt die Kreativität, setzt Produktivität frei und bringt Fähigkeiten auf ein höheres Niveau.‹ Und: ›Eine völlig neue Art des Arbeitens.‹ ›20 bis 30 Prozent mehr Produktivität und Umsatz, täglich bis zu drei Stunden freiwerdende Zeit durch Automatisierung, die Revolutionierung des Workflows.‹ Diese Zitate stammen im Wesentlichen von Tech-Konzernen und sind nicht viel mehr als ein Marketingtrick, um das eigene Produkt zu verkaufen.
Was stimmt: KI analysiert lange komplexe Texte aus PDF und Webseiten deutlich schneller als Menschen. Künstliche Intelligenz kann aus einer Vielzahl von Artikeln das Wichtigste in eine Power-Point-Präsentation übertragen, Blogartikel verfassen, dazu die passenden Social-Media-Beiträge formulieren und eine wissenschaftliche Arbeit schreiben.
KI-Assistenten arbeiten zusammen
Ein weiteres Beispiel: Ein Unternehmen möchte strategische Ziele formulieren. Verschiedene KI-gestützte Assistenten übernehmen dabei spezielle Aufgaben. Sie analysieren die Konkurrenz, identifizieren deren Erfolge, spüren Marktlücken auf und dokumentieren Best Practices. Die Assistenten arbeiten gemeinsam mit der Geschäftsführung an einer neuen Unternehmensstrategie. Das funktioniert, weil die Assistenten an eigene Bedarfe angepasst und auf spezielle Funktionen trainiert werden können (Wenn KI das Ruder übernimmt – Microsoft 365 Copilot als Risiko für Unternehmen und Beschäftigte.)
KI kann tatsächlich viel: Routineaufgaben übernehmen und das äußerst schnell, Ideen liefern und einen hohen Output produzieren. Doch Menschen bekommen durch KI nicht mehr Zeit zum Nachdenken, Reflektieren oder Kreativsein. Die eingesparte Zeit führt mit Sicherheit auch nicht zu einer besseren Work-Life-Balance.
Apropos Work-Life-Balance: Wie viel Zeit jemand mit Arbeit verbringt und wie viel Zeit zum Leben bleibt, das war schon immer Konfliktthema zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeber. Arbeitszeitverkürzungen waren immer das Ergebnis von Verteilungskämpfen.
Regierung will 8-Stunden-Tag kippen
Es ist kein Zufall, dass genau jetzt konservative Parteien, allen voran die Union (wieder einmal und im Einklang mit den Unternehmerverbänden) an die Bevölkerung appellieren, mehr und länger zu arbeiten, weil nur so der Wohlstand erhalten bliebe. Beim Appell bleibt es nicht: Der von Gewerkschaften erkämpfte 8-Stunden-Tag soll nach dem Willen der schwarz-roten Koalition fallen. Zur Begründung wird die Notwendigkeit von mehr Flexibilität und Leistung angeführt.
Mehr Arbeit, höhere Schlagzahl
Gleichzeitig wird der KI-Hype angefeuert, nicht zuletzt mit GPT-5. Allerdings entlastet KI nicht, sondern Arbeit verdichtet sich. Durch den Wegfall an Routineaufgaben steigt der Anteil mental anspruchsvoller Tätigkeiten. Auch die unternehmensinternen Leistungsstandards orientieren sich künftig an Arbeitsgeschwindigkeiten mit KI-Assistenten. Mehr noch: Weil Beschäftigte zu jeder Zeit und an jedem Ort auf KI-Assistenten zurückgreifen können, erhöht sich die Schlagzahl der Arbeit. Zeit, die durch KI frei wird, wird mit neuen Aufgaben gefüllt. Die versprochene Entlastung tritt nicht ein – sondern wird zur Leistungssteigerung genutzt, von der allein das Unternehmen profitiert – nicht die Beschäftigten.
Was Betriebsrät*innen tun können
Genau hier zeigt sich der Regulierungsbedarf: Betriebsrät*innen sollten ihre Möglichkeiten nutzen, um präventiv gegen Arbeitsverdichtung vorzugehen und die durch KI gewonnene Zeit im Interesse der Beschäftigten zu gestalten.
Der Einsatz von künstlicher Intelligenz kann Arbeitsabläufe weitreichend beeinflussen, der Betriebsrat sollte deshalb datenschutzrechtliche Aspekte im Blick haben, ebenso wie Fragen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes und der Leistungs- und Verhaltenskontrolle (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG).
Muss der Betriebsrat die Einführung oder Anwendung von KI-Systemen beurteilen, gilt es als erforderlich, einen Sachverständigen hinzuziehen (§ 80 Abs. 3 Satz 2 BetrVG).
Weitere Optionen: Der Betriebsrat kann Vereinbarungen zum Schutz vor Personalabbau aushandeln – etwa durch einen Sozialplan – sowie die Verteilung von Arbeitsaufgaben trotz KI-bedingter Effizienzsteigerung gestalten. Seine Mitbestimmungsrechte bei Arbeitsmenge und Zeitvorgaben (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG) sowie beim Arbeits- und Gesundheitsschutz (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG, ArbSchG) ermöglichen es dem Betriebsrat, Überlastung präventiv zu verhindern.
Zeit für die Produktivitätsdividende
Die richtige Antwort auf Produktivitätsgewinne durch technologischen Fortschritt ist die Produktivitätsdividende, wahlweise Automatisierungs- oder Technologiedividende. Danach profitieren nicht die Kapitaleigner oder Unternehmen (allein) von den Gewinnen aus Automatisierung und technologischen Neuerungen.
Stattdessen werden die Gewinne an die Gesellschaft oder die Beschäftigten weitergegeben. Das ist kein neues Konzept. Der österreichisch-US-amerikanische Sozialphilosoph Frithjof Bergmann war der Ansicht, dass Lohnarbeit durch Automatisierung reduziert werden könnte. Die Gesellschaft sollte einen Weg aus der Knechtschaft der Lohnarbeit finden, die Menschen unterjocht, einengt und krank macht. Seine Vision war es, die Erwerbsarbeit radikal zu verkürzen: New Work (New Work: Wo Arbeit Spaß macht. Wie Unternehmen eine gute Idee ins Gegenteil verkehren). So sollte die Zeit des Menschen aufgeteilt werden. Nur ein Drittel der Zeit sollte der Mensch mit Lohnarbeit verbringen. Ein weiteres Drittel dient der Eigenarbeit: ›High-Tech-Self-Providing‹ und ›Community Production‹. Das heißt: Dinge, die zum Leben gebraucht werden, selbst herstellen und sich in der Gemeinschaft unterstützen. Das letzte Drittel sollte reserviert sein für die Arbeit, ›die man wirklich, wirklich will‹.
Wie wenig radikal ist dagegen die Idee der 4-Tage-Woche – als Antwort auf KI-Produktivität.«