Sie werden bei uns nichts mehr! Wie KI die Karriere beeinflusst
Unser Standpunkt
Unser Standpunkt
Ihr Arbeitgeber kann heute vorhersagen, ob Sie sich in fünf Jahren für anspruchsvolle Aufgaben eignen. Oder ob Weiterbildungen bei Ihnen sinnlos sind. Diese Vorhersagen macht KI-basierte Personalentwicklungssoftware. Technologieberater Torsten Felstehausen erklärt: Wie funktioniert Predictive Analytics? Wie zuverlässig sind die Ergebnisse? Und wie können Betriebsrät*innen reagieren?
»Vorausschauende Instandhaltung (Predictive Maintenance) ist schon länger möglich. Ein Traktor zum Beispiel wird auf Basis von Prozess- und Maschinendaten gewartet, bevor er ausfällt und es zu Stillständen kommt. Das soll Kosten reduzieren.
Was bei Maschinen funktioniert, soll mittels Predictive Analytics auch bei Menschen möglich sein. Die Software analysiert große Datenmengen, erkennt Muster und sagt wahrscheinliche Ereignisse, Verhalten und Entwicklungen vorher. Solche Muster lassen sich in Datenmengen nur mit Data Mining erkennen, wobei Verfahren der künstlichen Intelligenz (KI) zum Einsatz kommen.
Zum Beispiel: Unternehmen wollen unter allen Bewerber*innen die geeignetsten herauszufiltern. Und sie wollen Beschäftigten, die kündigen wollen, mit Angeboten zum Bleiben motivieren. Oder Mitarbeitende herausfiltern, die sich als Führungskräfte eignen und in die sich eine Investition auszahlt. Oder Beschäftigte erkennen, deren Weiterentwicklung nicht lohnend erscheint. Überspitzt gesagt: Sie werden bei uns nichts mehr!
Riesiger Datenpool
Woher kommen die Daten für die Analyse solcher Prognosen? Über die meisten Daten verfügen viele Unternehmen bereits. Denn die Personalmanagementsysteme, die sie einsetzen, erledigen längst nicht mehr nur Zeit- und Abwesenheitsmanagement, Personalplanung und -steuerung. Sie bieten Talent-Management-Module, Performance Management, Learning Management, Karriereplanung, Nachfolgeplanung und Vergütungsmanagement (siehe Standpunkt von Arthur Groth: »Maximale Transparenz. Was sich Unternehmen von Personalmanagementsystemen versprechen«). Beispiele sind Workday Talent Optimization, SAP Success Factors Talent Management, IBM Watson Talent Framework.
Die Hersteller versprechen Persönlichkeitsanalysen und das Identifizieren von sogenannten Talenten und Potenzialen. Diese KI-basierten Personalentwicklungssoftwares nutzen einen großen Datenschatz. Sie analysieren Bewerbungen, Lebensläufe und Ergebnisse aus Assessment-Center, Qualifikationen, Berufserfahrung und sogar Persönlichkeitsmerkmale. Ausgewertet werden auch Teamfähigkeit, Entscheidungsfähigkeit, Kommunikationsverhalten und Stressresistenz aus 360-Grad-Feedbacks.
Persönlichkeitsrechte verletzt
Auch die interne Kommunikation wird analysiert: Mit wem ist jemand vernetzt? Wie schnell antwortet jemand? Die KI untersucht Schreibstil und Wortwahl. Und die Teilnahme an freiwilligen betrieblichen Aktivitäten wird ebenso registriert wie die Nutzung von Weiterbildungen und interne Mobilität. Diese Systeme verletzten Persönlichkeitsrechte – oft ohne Wissen der Betroffenen.
Blackbox-Entscheidungen
Fragt sich: Auf welcher Grundlage werden Entscheidungen getroffen, dass jemand in fünf Jahren eine exzellente Führungskraft wird? Das weiß niemand – nicht einmal die Software-Hersteller. Diese Systeme gleichen einer Blackbox.
Die KI orientiert sich bei der Identifizierung künftiger Führungskräfte an erfolgreichen Führungskräften der Vergangenheit. Dabei analysiert die KI Ausbildung, Abschluss, Berufserfahrung, Weiterbildung und vieles mehr, ergänzt durch Profile außerbetrieblicher Führungskräfte.
Die Auswahlkriterien sind allerdings nicht nachvollziehbar. Fatal: Die berufliche Zukunft liegt in den Händen von KI-Systemen. Jemand bleibt nicht nur im Unklaren, wieso er/sie nicht befördert wurde. Betroffene können das eigene Weiterkommen durch Schulungen oder Verhalten auch nicht so verändern, dass sie künftig durch die Maschine berücksichtigt werden.
Alte Führungsstile konserviert
Auch für Unternehmen ist diese Form der Personalentwicklung nicht ratsam: Wer nach Führungskräften von morgen in Karrierepfaden von erfolgreichen Führungskräften der vergangenen Jahre sucht, verpasst womöglich, sich neuen Anforderungen anzupassen und konserviert Unternehmenskultur und Führungsstile.
Zudem besteht die Gefahr, dass Diskriminierungen reproduziert werden: Frauen, Menschen mit Migrationsgeschichte oder ältere Beschäftigte werden also seltener für Führungspositionen vorgeschlagen.
Aufgabe von Betriebsrät*innen
Betriebsrät*innen können Beschäftigte jedoch schützen. Bereits aus den allgemeinen Aufgaben nach § 80 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) leitet sich ihre Verpflichtung ab, Diskriminierung von Schwerbehinderten, Frauen, älteren oder ausländischen Beschäftigten entgegenzutreten. Wird KI in Personalentwicklungssystemen genutzt, sieht der Gesetzgeber die Hinzuziehung von Sachverständigen durch den Betriebsrat sogar als erforderlich an.
Solche Personalentwicklungssysteme sind geeignet, die Leistung und das Verhalten der Beschäftigten zu überwachen. Damit sind sie nach BetrVG 87.1.6 in der Mitbestimmung und dürfen ohne Zustimmung des Betriebsrats nicht eingeführt werden.
Oft handelt es sich um Zusatzmodule bestehender Systeme. Deshalb müssen Mitbestimmungsrechte bereits in der ursprünglichen Betriebsvereinbarung stehen. Jede funktionale Erweiterung muss zu Beginn des Auswahl- und Planungsprozesses in den Gremien beraten werden.
Voreingenommenheit ausschließen
Betriebsrät*innen brauchen alle Informationen über die Herkunft und Nutzung der personenbezogenen Daten der Beschäftigten, die Schnittstellen zu anderen Systemen und vor allem der Entscheidungsalgorithmen. Das erfordert einen Einblick in Trainingsdaten, Zielgrößen und Bewertungsalgorithmen. Können die nicht offengelegt werden, muss der Arbeitgeber nachweisen können, dass eine algorithmische Voreingenommenheit ausgeschlossen wird. Der § 95 BetrVG regelt, dass Richtlinien über die personelle Auswahl bei Versetzungen (Beförderungen) der Mitbestimmung unterliegen. Ab 500 Beschäftigten kann der Betriebsrat eine Aufstellung einer solchen Richtlinie und deren zu beachtenden fachlichen und persönlichen Voraussetzungen und sozialen Gesichtspunkte verlangen.
Automatisiertes Scoring verhindern
Der Betriebsrat hat weiter das Recht, vom Arbeitgeber umfassend über Art und Umfang der Maßnahmen der Personalplanung informiert zu werden (§92 BetrVG) und mit ihm die Vorschläge zu beraten. Viele Arbeitgeber behaupten: Menschen entscheiden, die Software schlägt nur vor. Das ist nicht richtig. Liegt erst einmal eine Vorauswahl auf dem Tisch, konzentriert sich die Suche nach geeigneten Kandidat*innen nur noch auf diese Auswahl. Bewerber*innen ohne dieses automatisierte Scoring sind nicht mehr im Fokus.
Unternehmen nutzen Personalentwicklungssysteme auch zu Entscheidung bei Weiterbildung. Die unterliegt nach §98 BetrVG ebenfalls der Mitbestimmung. Der Betriebsrat hat außerdem das Recht, Beschäftigte für Weiterbildungsmaßnahmen vorzuschlagen.
Zweckbindung und Einwilligung
Wichtig ist bei der Einführung von Personalentwicklungstools der Datenschutz – eine Kernaufgabe des Betriebsrats nach §80 Abs. 1 und 2 BetrVG. Es ist immer zu klären, ob die datenschutzrechtlichen Anforderungen für die Nutzung der Beschäftigtendaten vorliegen. Nach Artikel 5 der DSGVO dürfen personenbezogene Daten nur für einen klar definierten Zweck erhoben werden. Die Zweckbindung ist keine Formsache, sondern ein zentraler Schutz der Beschäftigten.
Fazit
Künstliche Intelligenz in der Karriereplanung verändert Machtverhältnisse im Betrieb. Der Betriebsrat hat die Aufgabe, als Wächter für Fairness, Datenschutz und Mitbestimmung zu fungieren. Er muss KI-Ethikstandards einfordern und klare Regeln zur Zweckbindung und den Zugriffsmöglichkeiten auf Beschäftigtendaten vereinbaren. Dafür braucht es Schulung, Qualifizierung und Unterstützung der Betriebsratsmitglieder zu KI und Datenanalyse. Wer Rechte verteidigen will, braucht Wissen, Mut und klare Positionen.«