New Work: Wo Arbeit Spaß macht
Unser Standpunkt
Wie Unternehmen eine gute Idee ins Gegenteil verkehren
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Wie Unternehmen eine gute Idee ins Gegenteil verkehren
Wer sich zum Thema New Work durch Websites von Unternehmensberatungen, Job-Plattformen und Wirtschaftsmagazinen klickt, begegnet kleinen Teams von jungen Menschen vor dem Laptop, platziert in großzügigen Bürolandschaften mit üppigem Grün. Das – sollen uns die Bilder suggerieren – ist New Work. Versprochen werden Sinnstiftung, Selbstverwirklichung und Eigenverantwortung. Tatsächlich verschlechtern sich in manchen Branchen Arbeitsstandards und Selbstbestimmung zurzeit in hohem Maß, erklärt Technologieberater Torsten Felstehausen.
»New Work gilt als Abkehr vom Nine-to-five-Job und der Anwesenheitspflicht. Weg vom klassischen Lohnarbeiter, der sich strikt nach den Anweisungen des Chefs zu richten hat, hin zu einer Arbeitswelt der Freiheit, Flexibilität und Selbstverwirklichung. New Work wird als modernes Konzept präsentiert – zum Vorteil für Unternehmen und Beschäftigte. Mehr Gestaltungsfreiräume, mehr Ideen, mehr Motivation. »Mitarbeitende gehen gern zur Arbeit, weil sie dort das machen können, was ihnen Spaß macht und Sinn stiftet«, schreibt ein Personaldienstleister. Beim Lesen entsteht oft der Eindruck, Arbeit sei darauf ausgerichtet, Vergnügen zu bereiten.
Häufig werden Methoden und Konzepte, Arbeitsorganisation und Arbeitsgestaltung bunt gemischt – Scrum, agiles Arbeiten, Homeoffice, Coworking Spaces, mobile Arbeit, Desksharing, flache Hierarchien, Gleitzeit, Sabbaticals, Design Thinking, Vertrauensarbeitszeit, Open Innovation, New Pay, New Leadership und vieles mehr. Kurzum: Für den Begriff ›New Work‹ gibt es – anders als bei Frithjof Bergmann – keine allgemeingültige Definition.
Das neue Versprechen an die Beschäftigten lautet: ergonomische Arbeitsplätze, individuelle Gestaltungsspielräume, ganzheitliche Arbeitsaufgaben, selbstorganisierte Zusammenarbeit, wertschätzende Kooperation sowie belastungs- und stressarme Arbeit. ›Themen, für die Betriebs- und Personalräte seit Jahren kämpfen!‹, schreiben die Forscher*innen Bettina Seibold und Walter Mugler in ›New Work: Neue Arbeitswelten, neue Chancen?‹ (siehe Lese-Tipp).
›Wir sollten nicht der Arbeit dienen, sondern die Arbeit sollte uns dienen‹
Der Begriff ›New Work‹ geht zurück auf den österreichisch-US-amerikanischen Sozialphilosophen Frithjof Bergmann (* 1930, † 2021). Er war der Ansicht, dass Lohnarbeit durch Automatisierung reduziert werden könnte. Die Gesellschaft sollte einen Weg aus der Knechtschaft der Lohnarbeit finden, die Menschen unterjocht, einengt und krank macht.
›Die Arbeit, die wir leisten, sollte nicht all unsere Kräfte aufzehren und uns erschöpfen. Sie sollte uns stattdessen mehr Kraft und Energie verleihen, sie sollte uns bei unserer Entwicklung unterstützen, lebendigere, vollständigere, stärkere Menschen zu werden.‹ Bergmann plädierte für eine Umkehrung der Arbeits- und Machtverhältnisse zu New Work, Neuer Arbeit. ›Wir sollten nicht der Arbeit dienen, sondern die Arbeit sollte uns dienen‹, hieß seine Devise.
Bergmanns Idee: Erwerbsarbeit radikal verkürzen
Als zentrale Werte beschrieb er Selbstständigkeit, Freiheit und Teilhabe an der Gemeinschaft. Seine Vision war es, die Erwerbsarbeit radikal zu verkürzen. So sollte die Zeit des Menschen aufgeteilt werden. Nur ein Drittel der Zeit sollte der Mensch mit Lohnarbeit verbringen. Ein weiteres Drittel dient der Eigenarbeit: ›High-Tech-Self-Providing‹ und ›Community Production‹. Das heißt: Dinge, die zum Leben gebraucht werden, selbst herstellen, und sich in der Gemeinschaft unterstützen. Das letzte Drittel sollte reserviert sein für die Arbeit, ›die man wirklich wirklich will‹.
Im Modell von Frithjof Bergmann steckt die Abkehr vom kapitalistischen Wirtschaften und der Fixierung auf Wachstum. An dessen Stelle tritt die humanistische Idee, den Menschen aus dem Zwang zu befreien, immer mehr zu arbeiten, um sich immer mehr Produkte leisten zu können, die die Wirtschaft als zwingend notwendig bewirbt.
Keine Überraschung: Die heutige Arbeitswelt in unserem Wirtschaftssystem ist von New Work à la Bergmann weit entfernt. Der Begriff verbreitete sich rasend schnell. Ausgehend von kleinen Startups hat die neoliberale Wirtschaft den Begriff New Work mitsamt den für Bergmann so zentralen Werten wie Selbsterfüllung und Sinnstiftung gekapert.
Wenn Selbstbestimmung abnimmt
New Work wird heute mit wohlklingenden Worthülsen versehen und verschleiert dabei, dass sich Arbeitsstandards im Zuge von Digitalisierung und künstlicher Intelligenz (KI) in vielen Branchen verschlechtern.
Ein Beispiel aus der Bankenbranche: Ein Kreditsachbearbeiter hat vor Einführung KI-gestützter Systeme in einer großen Bank am Tag etwa zehn Kreditanfragen aus dem Privatbereich bearbeitet. Er hat jeden Fall komplett bis zur Kreditentscheidung bearbeitet. Heute füllen Kund*innen die Formulare selbst aus und laden sie hoch. Die KI überprüft die Kreditwürdigkeit der Antragsteller*innen und gibt auf dieser Grundlage dem Kreditsachbearbeiter einen Entscheidungsvorschlag. Diesen kann er bestätigen oder ablehnen.
Für eine qualifizierte Entscheidung müsste er sich den gesamten Vorgang aufrufen. Doch dafür fehlt ihm die Zeit. Während er früher zehn Fälle am Tag bearbeitet hat, weist ihm die Maschine 25 bereits geprüfte Fälle zu. Letztlich bleibt ihm nur die Möglichkeit, die maschinelle Vorlage zu bestätigen. Tut er das nicht, schafft er den vorgegebenen Arbeitsumfang nicht und muss überdies seinen von der KI abweichenden Beschluss begründen und möglicherweise für eine falsche Entscheidung geradestehen. Die Folge: Potenzielle Konflikte mit Vorgesetzten werden vermieden, indem maschinelle Empfehlungen bestätigt werden.
An diesem Beispiel wird deutlich, dass der Grad der Selbstbestimmung abnimmt und die Gefahr der Dequalifizierung steigt. Denn die Fähigkeiten, über die dieser Kreditsachbearbeiter früher durch seine Berufserfahrung verfügte, werden zunehmend nicht mehr benötigt und gehen im Laufe seines Erwerbslebens verloren.
Unter dem Etikett New Work wird zum Teil Bekanntes als neu verkauft, etwa agiles Arbeiten. Die eigentliche Idee ist, Teams eigenverantwortlich über Prozesse entscheiden zu lassen. Der Scrum Master hat die Aufgabe, Druck vom Team fernzuhalten. Das Team entscheidet selbst, wie viel Arbeit es in dieser Woche leisten kann und will. Doch das wird in der Praxis selten umgesetzt. Was bleibt, ist das Aushängeschild von agiler Arbeit.
Nur vordergründig mehr Autonomie
Unter dem Etikett New Work werden auch gewerkschaftliche Errungenschaften ins Gegenteil verkehrt. Etwa Mitbestimmung. Im gewerkschaftlichen Kontext ist klar definiert, dass es sich um Rechte für Betriebs- und Personalräte und Gewerkschaften handelt. Unter dem Etikett New Work wird Mitbestimmung auf Klassensprecherniveau gesenkt: Angestellte dürften bei wichtigen Dingen mitsprechen, ihr Input werde wertgeschätzt und fließe in Entscheidungen ein, wie ein Personaldienstleister schreibt. Nichts anderes als eine Mimikry – positiv besetzte Begriffe werden genutzt, sind aber nichts anderes als eine Täuschung.
Ähnlich beim Thema Führung. Im New-Work-Kontext werden flache Hierarchien gepriesen. Dabei bleibt die Machtverteilung unangetastet. Wenn Azubis ihre Schichtpläne selbst erarbeiten, wird das als neue Führungsstruktur bezeichnet, statt es als das zu benennen, was es ist: die Verlagerung von Vorgesetztentätigkeiten auf Auszubildende. Unternehmen geben den Beschäftigten vordergründig mehr Autonomie und Entscheidungsfreiheiten, schreiben allerdings das Ergebnisziel vor: ›Macht, was Ihr wollt. Hauptsache, das Ergebnis stimmt!‹ Das Prinzip ist längst als indirekte Steuerung bekannt.
New Work im Sinne von Bergmann würde Beschäftigten die Entscheidungsfreiheit geben, welche Produkte sie herstellen und unter welchen Bedingungen sie das tun wollen, in welchem Zeitumfang und mit welchen Arbeitsmitteln. Eine solche New Work würde auch die Verteilung zwischen Lohn- und Kapitalabhängigen infrage stellen. All das passiert nicht.
Der Vision von Frithjof Bergmann kann ich persönlich viel abgewinnen. Allerdings bräuchten wir dafür ein anderes Wirtschaftssystem. Ich würde mit der Nachbarschaft eine Schreinerei betreiben, um nützliche Dinge herzustellen. Politische Arbeit wäre eine ›Arbeit, die ich wirklich wirklich will‹.«
Lese-Tipp:
Bettina Seibold, Walter Mugler: »New Work: Neue Arbeitswelten, neue Chancen?«, Beschäftigteninteressen mit zukunftsorientiertem Arbeitsformen verbinden. Herausgegeben vom I.M.U Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung der Hans-Böckler-Stiftung.