Maximale Transparenz. Was sich Unternehmen von Personalmanagementsystemen versprechen
Unser Standpunkt
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Personalmanagementsysteme sind wie Röntgengeräte: Sie durchleuchten Beschäftigte. Umso wichtiger sind gute und präzise Regelungen. Durch den Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) steigt der Regelungsbedarf massiv. Wenn KI etwa Prognosen über die Entwicklung von Beschäftigten anhand intransparenter Algorithmen erstellt, ist Diskriminierung von Menschen vorprogrammiert, erklärt Technologieberater Arthur Groth, Geschäftsführer der BTQ Kassel.
»Besonders große Unternehmen nutzen Personalmanagementsysteme. Und das schon über viele Jahre. Mit Einsatz von KI erhalten die Systeme jetzt eine neue Bedeutung; es werden neue Methoden unter Anwendung von KI und Big-Data-Analysen möglich.
Zunächst besteht ein Personalmanagementsystem aus den klassischen Modulen, wie Lohn- und Gehaltsabrechnung, Zeit- und Abwesenheitsmanagement, Personalplanung und -steuerung. Dazu kommen die sogenannten Talent-Management-Module, wie Recruiting und Onboarding, Performance Management, Learning Management, Karriereplanung, Nachfolgeplanung, Vergütungsmanagement. Sprich: Von der Bewerbung bis zum Ausscheiden einer Beschäftigten kann jeder Karriereschritt, jede Zielvereinbarung, jede Fortbildung im System abgebildet werden.
Das kann sinnvoll sein. Zum Beispiel bei der Einarbeitung: Ein Unternehmen mit vielen Niederlassungen in Deutschland stellt eine neue Fachkraft ein. Sie erhält zunächst über den digitalen Onboarding-Prozess das Organigramm, ihren Arbeitsvertrag, Einweisungen ins Zeitmanagement, für die Personaldateneingabe, Reisekostenabrechnung, Urlaubsplanung und vieles mehr. Klassische Personalarbeit wird hier im Übrigen bereits auf die Beschäftigten verlagert. Außerdem bekommt die neue Fachkraft den Schulungskatalog mit Vorschlägen zu passenden Fortbildungen, basierend auf ihren Qualifizierungen.
Das Individuum wird ausgeleuchtet
Unternehmen versprechen sich vom Einsatz der Personalmanagementsysteme – eine gute Datenqualität vorausgesetzt – technische Unterstützung bei strategischen Personalentscheidungen. Welche Teammitglieder ergänzen sich gut und arbeiten effizient zusammen? Wer bringt welches Potenzial mit und sollte mit Schulungen unterstützt werden? Oder die entgegengesetzte Variante: Wer bringt wenig Performance und wird als sogenannter Low Performer identifiziert? Aber auch: Wer bekommt im nächsten Jahr mehr Geld und wer geht leer aus? Wie entwickeln sich die Personalkosten? Und wie lassen sie sich senken? Ziel von Personalmanagementsystemen ist Effizienzsteigerung und die damit verbundene Gewinnmaximierung.
Es ist auch möglich, die Standorte nach verschiedenen Parametern zu vergleichen, um dann eventuell zu entscheiden, weniger in einen umsatzschwachen Standort zu investieren oder sogar Ressourcen abzuziehen. Die Daten erlauben es dem Unternehmen, jeden Prozess zu analysieren, um gegebenenfalls gegenzusteuern und Ressourcen anders einzusetzen. Kurzum: Es geht um größtmögliche Transparenz und größtmögliche Kontrolle. Der Traum des Personalmanagements scheint mit diesen Systemen Wirklichkeit zu werden: »Je präziser das Individuum durchleuchtet wird, desto besser die Chance, dass das perfekte Arbeitsverhältnis entsteht.«1
Beteiligung wird vernachlässigt
Daran lässt sich erkennen, warum Personalmanagementsysteme fürs Management reizvoll, aber nicht unbedingt gut für die Beschäftigten oder fürs Unternehmen sind. Denn hier werden personalrelevante Entscheidungen anhand von angeblich objektiven Daten am Bildschirm getroffen, anstatt die Beschäftigten miteinzubeziehen und nach ihren Erfahrungen, Vorschlägen und Verbesserungsideen zu fragen. So kann eine bestehende unzureichende Beteiligung der Beschäftigten im Unternehmen durch Personalmanagementsysteme zusätzlich gefördert und damit negativ verstärkt werden.
Unter Anwendung von künstlicher Intelligenz (KI) und Big-Data-Analysen wächst diese Tendenz. Denn nun können die Unternehmensdaten zusätzlich mit externen Daten verknüpft und in vielfältiger Form analysiert werden. Es setzt sich zunehmend das Denken durch: ›Die KI macht das schon … Die KI verhilft uns schon zu einer Lösung… Man braucht nur genügend Daten über die Beschäftigten…‹
Ziemlich riskant, auf dieser Basis Entscheidungen zu treffen. Denn mit welchen Daten die KI trainiert wurde, ist meist nicht bekannt. Nach welchen Parametern lässt ein Unternehmen die Daten analysieren? Zu welchem Zweck, mit welchem Ziel? Taugen dafür die Daten? All dies bleibt oft unklar.
Einzelne Module abschalten
Ein Beispiel: Mit einem Bewerbungsvideo stellen sich drei Personen vor, eine ältere Frau mit türkisch gelesenem Namen, eine sehr junge Frau US-amerikanischer Herkunft und ein mittelalter Mann mit deutsch gelesenem Namen. Die Entscheidung fällt auf den Mann. Aber warum? Ist er besonders kompetent? Hat er besondere Qualifikationen vorzuweisen? Welche Kriterien wurden herangezogen? Wurde eine Emotionserkennungsanalyse vorgenommen? Die sind übrigens nach der EU-Verordnung zu künstlicher Intelligenz (AI Act) als inakzeptables Risiko eingestuft und zukünftig verboten. Kurzum: Es ist nicht nachvollziehbar, auf welcher Grundlage die Einstellung vorgenommen wurde. Mein Rat an Betriebsräte: Sollten mit Personalmanagementsystemen autonom Entscheidungen getroffen werden, die sich auf den Zugang von Beschäftigten zu Arbeit, auf Personalentwicklung und Karrieren auswirken, ist vom Einsatz abzuraten. Mindestens sollten einzelne Module mit diesen Funktionen abgeschaltet werden.
Sicher kann es auch positive Einsatzzwecke geben. Vielleicht wird eine Beschäftigte erst durch einen Algorithmus sichtbar und kommt in den Fokus der Führungskraft. Möglich ist auch die Personaleinsatzplanung so zu steuern, dass Kolleg*innen mit besonders vielen Mehrarbeitsstunden erst einmal nicht angefragt werden. Oder aber es passiert das Gegenteil, wie das bei der schwedischen Modekette H&M der Fall war: Da wurde das Personalmanagementsystem dazu genutzt, gezielt junge Mütter für ein scheinbar freiwilliges Ausscheidungsprogramm herauszupicken.
Abgelehnt aufgrund der Daten
Der Betriebsrat sollte auf sein Auskunftsrecht pochen und die Herausgabe aller Unterlagen einfordern. Zudem sollte er sich nicht unter Druck setzen lassen, schnellschnell seine Zustimmung zu erteilen, damit das Personalmanagementsystem zügig eingeführt werden kann. Erhält der Betriebsrat unvollständige Unterlagen mit Verweis auf die mangelhafte Informationslage seitens des Herstellers, könnte hier die Diskussion beginnen. Angenommen es passiert Folgendes: Es bewirbt sich intern eine junge Mutter mit zwei Kindern, die Nationalität ist bekannt, ebenso Krankheitsdaten, häufiges Zuspätkommen. Sieht nicht gut aus. Ist sie geeignet als Hauptkassiererin? Vermutlich erfolgt eine Ablehnung aufgrund der Daten und nicht aufgrund eines persönlichen Gesprächs. Betriebsräte sollten sich die Fragen stellen, welche Verfahren ihrem gesetzlichen Auftrag entsprechen, wie sie die Interessen der Beschäftigten beim Einsatz von Personalinformationssystemen vertreten und schützen können und ob die digitale Abbildung der Personalprozesse ihren persönlichen Ansprüchen und den bisherigen analogen Verfahren entspricht.
Noch ein Tipp: Die Personalmanagementsysteme erlauben es, Mitarbeiter*innengespräche festzuhalten. Dabei wird ein komplexer Fragebogen ausgefüllt. Mein Rat ist, sich auf Multiple-Choice-Fragen oder ein einfaches Bewertungssystem von 1 bis 10 zu beschränken anstelle freier Textfelder, die Raum für Fehlinterpretationen lassen. Darüber hinaus sollte der Betriebsrat beim Einsatz von KI von seinem Unterrichtungs- und Beratungsrecht (§ 90 Abs. 1 BetrVG) Gebrauch machen und die explizit geforderte Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 80 Abs. 3 BetrVG) verlangen.«
1Edgar Rose von der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg in einer Studie im Auftrag von Input Consulting