Die (Arbeits)Forschung muss den Weg in die Praxis finden. Zu wenige Beispiele für gelungenen Wissenstransfer
Unser Standpunkt
Unser Standpunkt
Erkenntnisse der Arbeitsforschung kommen noch zu selten in kleinen und mittleren Betrieben an. Das hat mehrere Gründe. Einer davon: Der Arbeitsforschung gelingt es nicht, ihre Ergebnisse der Praxis nahezubringen. Zu oft konzentriert sie sich auf Erhebung der Inhalte statt deren Vermittlung, kritisiert Technologieberaterin Leandra Scholz und erklärt, wie es besser ginge.
»Weil manches theoretisch schwer vorstellbar ist, ist es umso wichtiger, dass Interessierte praktisch ausprobieren, was etwa ›datenbasierte Assistenzsysteme‹ oder ›digitale Unterstützungstools‹ leisten. Ein Beispiel: Ohne Programmiersprachen zu beherrschen, können Roboter angelernt werden, Bauteile zu schweißen. Die vom Roboter fabrizierten Schweißnähte an einem Schaltschrank können in einem Bus begutachtet werden. Der umgebaute ehemalige Bibliotheksbus fährt Messen, Maschinenbautage und öffentliche Plätze an und kann auch von Unternehmen angefordert werden. Er gehört zu PAL; das steht für ›Perspektive Arbeit Lausitz‹.
Vor dem Bus ist eine Plane mit einer Landkarte der Lausitz ausgebreitet. Ein kleiner Roboter, der aussieht wie eine Baumaschine, kann einzelne Stationen ansteuern, gesteuert von Laien mit No Code Programmierung, also ohne Programmiersprachen zu beherrschen.
Das Projekt Perspektive Arbeit Lausitz ist ein Regionales Kompetenzzentrum der Arbeitsforschung mit Teams der Arbeitsforschung und Ingenieurwissenschaften aus fünf Hochschulen sowie Unternehmen und Verbänden. Ziel ist, durch datenbasierte Assistenzsysteme Arbeit besser zu machen. Und zu zeigen, wie Arbeitsforschung konkret angewendet werden kann.
Zum Ausprobieren einladen
Ein ähnliches Ziel hat auch das KI-Infomobil des Projekts KI-Studios von Fraunhofer IAO und dem IAT der Universität Stuttgart. Die Demonstratoren veranschaulichen KI-Anwendungen aus der Arbeitswelt von heute und morgen. Etwa im Schreinerhandwerk. Wie gelingt es, der Kundschaft im Voraus das Ergebnis eines Auftrags zu demonstrieren? Etwa mit generativer KI bei textgesteuerter Bildbearbeitung. Nach und nach werden über Texteingaben Änderungen am Bild vorgenommen, etwa eine weiße Lackierung und schwarze Türgriffe. Die Kundschaft weiß, was sie erwartet, möglicherweise entstehen auf die Art und Weise neue Ideen.
Der Ausstellungsbus und das KI-Infomobil zeigen Anwendungen praxisnah und laden zum Ausprobieren ein. Beschäftigte und Betriebsrät*innen lernen Anwendungsbeispiele kennen, die so oder ähnlich auch im Betrieb eingeführt werden könnten. Mit diesem Hintergrundwissen können sie einen Einführungsprozess begleiten und sind in der Lage, die richtigen Fragen zu stellen.
Zwei gute Beispiele. Allerdings gibt es davon nicht so viele. Und genau das ist das Problem: Es gelingt noch zu selten, arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) zur Verfügung zu stellen. Noch zu oft verbleibt das Wissen in Hochschulen und wissenschaftlichen Instituten und schafft nicht den Sprung in die Praxis.
Die sogenannte Transferlücke hat mehrere Gründe. Die Arbeitsforschung hat zu wenig Kenntnis darüber, was in Betrieben gebraucht wird und Betriebsrät*innen sowie Beschäftigten nutzen würde. Zudem schafft sie es häufig nicht, ihre Forschungsergebnisse zu vermitteln und für die Praxis handhabbar zu machen.
Das Projekt WIN:A (Wissens- und Innovationsnetzwerk: Arbeitsforschung) soll dabei helfen, die Lücke zwischen Arbeitsforschung und betrieblicher Praxis zu verkleinern. Welchen Bedarf haben Betriebsräte, Führungskräfte, Beratende? Das wird gezielt abgefragt und an die regionalen Kompetenzzentren der Arbeitsforschung zurückgegeben. Um insbesondere betrieblichen Akteur*innen aus kleinen und mittleren Unternehmen zu zeigen, wo und wie Wissenstransfer gelingt, veröffentlicht WIN:A, dem auch die BTQ angehört, demnächst eine Broschüre mit gelungenen Beispielen aus der Praxis.
Akzeptanz bei Beschäftigten erhöhen
Die Verbesserung des Wissenstransfers ist besonders wichtig, da die Ergebnisse der Arbeitsforschung helfen können, Arbeit menschen- und umweltgerechter sowie produktiver zu gestalten. Die Einführung von neuen Technologien ist beispielsweise erfolgreicher und die Akzeptanz bei den Beschäftigten höher, wenn sie beteiligt werden. Dieser Weg erscheint zwar mühsamer, als wenn Entscheidungen von der obersten Führungsebene nach unten durchgereicht werden. Doch die Forschung belegt, dass das Ergebnis nachhaltiger ist.
Die Akzeptanz bei den Beschäftigten würde auch steigen, wenn sie mehr Informationen über KI- Anwendungen hätten und auch wüssten, wie KI funktioniert. Nur informierte Beschäftigte haben die Möglichkeit, eine fundierte kritische Haltung zu entwickeln. Nur dann können sie hinterfragen, ob eine Übernahme von Routinetätigkeiten durch KI tatsächlich ihrer Entlastung dient, wie vielleicht das Unternehmen behauptet, oder sich als Arbeitsverdichtung entpuppt. Denn ausschließlich fordernde oder kreative Aufgaben zu erledigen, führt zu einer schnelleren Erschöpfung als der Wechsel von Routine- und fordernden Tätigkeiten. Das sind Erkenntnisse aus der Arbeitsforschung, die es gilt, in die Betriebe zu bringen.
Nicht am Bedarf vorbeiforschen
Damit Erkenntnisse der Arbeitsforschung tatsächlich in den Betrieben ankommen, müsste die Beteiligung sehr viel früher ansetzen. Schon bei der Planung eines Forschungsprojektes sollten Gewerkschaften und Interessenvertretungen einbezogen werden, damit nicht am Bedarf von Betriebsrät*innen und Beschäftigten vorbeigeforscht wird. Und bereits bei der Ausschreibung der Forschungsprojekte sollte der Transfer gleich mitgedacht werden. Dafür eignen sich Begleitprojekte wie WIN:A sowie projektinterne Transferfachleute, die sich über die Vermittlung der Inhalte Gedanken machen.
Auch die Form ist wichtig: Es kann nicht erwartet werden, dass Betriebsrät*innen dicke Forschungsbände lesen. Interessenvertretungen signalisieren deutlich, dass sie kurze, präzise, umsetzbare und praxisnahe Informationen schätzen. Das könnten Apps sein, Checklisten, Leitfäden. Auch der Zugang zu diesen Tools muss mitgedacht werden. WIN:A hat deshalb die Online-Plattform Management-Arbeit-Forschung geschaffen, um betrieblichen Akteur*innen den Zugang zu Ergebnissen der Arbeitsforschung zu erleichtern. Betriebsrät*innen können sich dort beispielsweise über die Praxisimpulse einen Überblick verschaffen, ob zu bestimmten Themen bereits Tools erarbeitet worden sind.
Es hat sich ebenfalls bewährt, Betriebsrät*innen sogenannte Rückmeldeworkshops anzubieten. Also Interessenvertreter*innen, die sich an der Erhebung beteiligt haben, auch an den Ergebnissen teilhaben zu lassen. Das sollte schon bei Planung des Projektes berücksichtigt werden. Die zeitlichen Ressourcen müssten von Beginn eingeplant werden.
Forschung muss auf den Prüfstand
Fazit: Damit gute Inhalte nach Projektende nicht mitsamt der Projektwebsite verschwinden, müsste sichergestellt werden, dass die Ergebnisse erhalten und der Prozess fortgeschrieben wird. Teile der Forschung müssen auf den Prüfstand: Was braucht die Praxis? Was brauchen Interessenvertretungen und Belegschaften? Und wie müsste der Inhalt gestaltet werden, um ihn handhabbar zu machen? Dazu muss verstärkt der Bedarf der Beschäftigten ermittelt werden. Sie sind die Expert*innen ihrer Arbeit und sollten als erste Quelle herangezogen werden.«
Weitere Informationen
über das KI-Infomobil des Fraunhofer IAO und dem IAT der Universität Stuttgart