BTQ: Unser Projekt WIN:A beschäftigt sich mit den Kohleregionen Rheinisches Revier und Lausitz. Sind solche Themen für dich weit weg?
Nadine Müller: Im Gegenteil. Mir fällt sofort das Stichwort ‚sozial-ökologische Transformation‘ ein. Das betrifft ver.di-Branchen zentral. Die Ver- und Entsorgung ist zuständig für die Beschäftigten in der Energiewirtschaft, in der Wasserwirtschaft, in der Abfallwirtschaft und im Bergbau. Der Kohleausstieg ist ein großes Thema. Tiefgreifende Veränderungen wird es auch im Bereich Verkehr geben: Wir brauchen eine Mobilitätswende. Von dieser Transformation sind nicht alle Berufsgruppen bei ver.di gleichermaßen betroffen. Aber wir denken darüber nach, wie sich besonders stark betroffene Regionen weiterentwickeln können und fordern auch die Politik dazu auf. Wie wird es dort wirtschaftlich weitergehen? Welche Qualifizierungen werden die Menschen dort und in den schon genannten Branchen brauchen? Wir werden uns aus der Sicht Guter Arbeit dem Thema widmen.
BTQ: Was beschäftigt Betriebsräte und Beschäftigte zurzeit am meisten?
Nadine Müller: Neben den aktuellen Krisen, steigenden Lebenshaltungs- und v. a. Energie- wie Heizkosten ist die Digitalisierung – darunter fasse ich auch Künstliche Intelligenz (KI) – wichtig und geht einher mit einer gestiegenen Arbeitsintensität. Wir stellen fest, dass die Arbeitsintensität besonders hoch ist, wenn Beschäftigte stark von Digitalisierung betroffen sind, und das führt zu einer Zunahme von psychischen Belastungen. Wobei klar ist, dass die körperlichen Belastungen zwar der Tendenz nach abnehmen, aber nach wie vor da sind. Themen, die uns seit der Corona-Krise begleiten, sind verstärkt Homeoffice und mobile Arbeit. Ein Schwerpunkt Guter Arbeit ist auch, die Beteiligung der Beschäftigten zu organisieren. Wie können sie an der Gestaltung ihrer Arbeitsbedingungen mitwirken? Was sich durch alle Branchen zieht, ist der Anspruch an sichere Beschäftigungsverhältnisse und an faire und sichere Löhne.
BTQ: Welches Wissen und welche Informationen brauchen eure Personal- und Betriebsräte und Beschäftigte beim Thema KI?
Nadine Müller: Unser Innovationsbarometer zum Schwerpunkt KI hat ergeben, dass es einen großen Qualifizierungs- und Informationsbedarf gibt. Das geht los bei der Frage: Was ist Künstliche Intelligenz? Was ist zu tun, wenn die Arbeitgeber*in KI-Anwendungen einführen will? Welche Rechte haben Interessenvertretungen? Wie könnte eine Gestaltung aussehen? Und wie positionieren sich die Gewerkschaften dazu? Betriebs- und Personalräte sind sehr an solchen Informationen interessiert, die in der betrieblichen Praxis weiterhelfen. Aber nicht als dicker Abschlussband eines Forschungsprojektes, sondern Handreichungen, die es je nach Zielgruppe auf Papier und digital gibt, möglichst passend für mobile Endgeräte. Die Informationen müssen leicht auffindbar und zugänglich sein. Letztlich müssen Personal- und Betriebsräte auch qualifiziert werden, damit sie sich einbringen und Verhandlungen führen können.
BTQ: ver.di hat sich in einem Positionspapier sowie mit ihren ethischen Leitlinien zu KI geäußert. Kommt das an bei den Mitgliedern?
Nadine Müller: Wir haben auf das Papier und die Empfehlungen nur positive Rückmeldungen bekommen. Wobei sich mir auch die Frage stellt, wie bedeutsam KI in nächster Zeit sein wird. Denn es hat bereits einige KI-Winter gegeben – Zeiten, in denen das Thema angesichts der zu hohen Erwartungen weniger relevant war. Wichtig ist es mit Blick auf Gestaltungsanforderungen, die Kritikalitätsstufen von KI zu beachten. Sprich: Inwieweit greift KI in Entscheidungsprozesse ein und wie risikoreich ist das System? Wir müssten auf politische Regulierungen drängen, auch damit Hersteller transparent machen, was in diesen Systemen passiert. Es kann nicht sein, dass für niemanden mehr nachvollziehbar ist, was beim Deep Learning einer KI passiert und wie ein System zu seiner Entscheidung gekommen ist, wenn es in denn in der Arbeitswelt eingesetzt wird. Ich bin dafür, grundsätzlich die Frage zu stellen, wofür brauchen wir eine bestimmte KI eigentlich? Ist es wirklich eine Hilfe oder nur ein Versprechen, evtl. sogar mit negativen „Nebenwirkungen“? Wir sind ja auch mitten in der Klimakrise.
BTQ: Was meinst du damit in Bezug auf KI?
Nadine Müller: Die meisten KI-Systeme sind Stromfresser. Man sollte als Gesellschaft darüber nachdenken, ob jeweils ein KI-System tatsächlich so sinnvoll ist, dass wir bereit sind, auch die Kosten dafür zu tragen – nicht nur finanziell, sondern auch die ökologischen.